IMRE KINSZKI

Imre Kinszki (1901–45) gilt als einer der ungarischen Kunstler, der am konsequentesten die
Neue Sachlichkeit vertrat. Auf der Suche nach einer eigenen Bildsprache entdeckte er im Sinne
des Neuen Sehens die einfache Schönheit der Dinge. Das Spiel von Licht/ Schatten wird zu
seinem markantesten Ausdrucksmittel, um die Struktur und Mentalität Budapests aus neuen
Perspektiven festzuhalten.

Kinszkis Familie gehörte zum assimilierten judischen Bildungsburgertum der ungarischen
Hauptstadt. Sein Großvater Zsigmond Schiller war Chefredakteur des Pester Lloyd, der größten
deutschsprachigen Tageszeitung. Sein Onkel, Lipót Baumhorn war einer der bekanntesten
Synagogenarchitekten Mitteleuropas. Kinszki besuchte eine Privatschule und sprach 5
Sprachen. Sein Medizinstudium scheiterte an den 1920 in Ungarn erlassenen antisemitsichen
Gesetzen, so dass er als Angestellter in einer Textilfabrik arbeitete. Dort lernte er auch Ilona
Gárdonyi kennen, die er 1926 heiratete. Das Ehepaar hatte zwei Kinder, Gábor und Judit.

Neben seiner Tätigkeit als Buroangestellter widmete er seine Zeit der Fotografie. Sein
fotografisches Oeuvre umfasst die Zeitspanne 1926-1943. Eine Zeit, in welcher die Fotokunst
einen Wandel von der malerischen Salonkunst zum Neuen Sehen vollzog. Kinszki war einer
der konsequentesten Vertreter der Neuen Sachlichkeit in der ungarischen Fotografie und hat so
zur Entwicklung des Mediums entschieden beigetragen.

In den folgenden Jahren wurde er mit seinen Fotografien aber auch mit seinen Publikationen als
Schriftsteller immer erfolgreicher, auch international erfuhr er Anerkennung, indem auch National
Geographic oder American Photography seine Fotografien veröffentlichen. Um sich vor
antisemitischen Übergriffen zu schützen, konvertierten die Familie 1938 zum Christentum.
Dennoch musste Imre ab 1943 Zwangsarbeit leisten. Zuerst in Rumänien, danach in Budapest.
Als sich die Sowjetarmee 1944 Budapest näherte, wurden er auf einen Transport nach
Deutschland geschickt, ebenso wie sein damals 16-jähriger Sohn Gábor, von dem beide nicht
zuruckkehrten. Es ist nicht sicher, ob Imre Kinszki im KZ Sachsenhausen oder Bergen Belsen
starb.

Kinszki uberließ seiner Familie einen kleinen Koffer mit Negativen. Dank seiner Tochter Judit, die
als 10 – jähriges Mädchen den Koffer durch das Budapester Ghetto rettete, sind sie erhalten
geblieben. Sie wollte die Negative fur ihren Vater aufbewahren, damals hatte sie keine
Ahnung, dass sie die Bilder, die Erinnerungen an eine vergangene und verschwundene Welt,
auch fur uns gerettet hat.

In Gedenken an Imre Kinszki und seinen Sohn wurden vor der Wohnung der Familie in Zugló
zwei Stolpersteine verlegt. diese Initiative ging von einer Budapester Schulklasse aus, die wie
viele tausende andere vom Schicksal Kinszkis und von seinen Fotografien erfuhren. Das Judische
Geschichtszentrum Centropa veröffentlichte 2004 ein Interview von Judit Kinszki und einen
Kurzfilm, der auf Familienbildern basierte, auf seiner Website. Zu dieser Zeit wurde auch die
Ungarische Nationalgalerie und Fotogalerien aus New York auf das Werk Kinszkis
aufmerksam.

Imre Kinszki war kein Berufsfotograf. Wie viele andere Amateurfotografen verwendete er viel
Zeit, Muhe, Enthusiasmus und auch finanzielle Mittel auf die Fotografie. Es waren eben diese
ambitionierten Amateure, die das fotografische Medium vorantrieben, revolutionierten und auch
innerhalb des Kunstkanons neu positionierten und aufwerteten.

Zur Geburt des ersten Sohnes Gábor 1926 erhielt Kinszki seine erste Kamera als Geschenk
von seiner Frau. Von da an fotografierte er auf dem Weg zur Arbeit, aus seinem Fenster im
Stadtteil Zugló heraus, bei Spaziergängen durch die Stadt. Nicht nur als Fotograf sondern auch
als Schriftsteller grundete er – gemeinsam mit einigen Freunden – die „Gruppe der Modernen
Ungarischen Fotografen“ und war Herausgeber der ersten Anthologie moderner ungarischer
Fotokunst. Er wurde mit seinen Stadtlandschaften, Porträts und Nahaufnahmen von Tieren und
Pflanzen sehr bekannt. Kinszki entwickelte verschiedene zusätzliche Linsen fur eben diese
Nahaufnahmen und konstruierte sogar eine spezielle 6×6-Kamera.